Raumbezogen, illusionistisch, mimetisch, transformativ – die Arbeit von Fides Becker und Julia Ziegler weist Berührungspunkte und Gegensätze auf. Beide Künstlerinnen sind von Gebäuden inspiriert und machen die Darstellung von Architektur in der Fläche zum Thema. Fides Becker setzte sich besonders mit der Belle Epoche, Julia Ziegler vorrangig mit Japan und Bauhaus auseinander. In der Ausstellung thematisieren sie den Ausstellungsraum, in dem sie sich begegnen.
Wie ein Mensch in einem Raum steht, geborgen oder gefangen, ob ein Bau nach außen durchlässig ist oder verschlossen, und was man gerade braucht, die Weite oder den Schutz, spiegelt existenzielle Zustände wider. Innenräume lassen den Menschen nicht kalt. Jede Kultur hat in ihrer Weise das Dach über dem Kopf, den Zugang zum Raum und spezifische Öffnungen entwickelt. Viel Raum zu haben ist schon immer ein Privileg. Wohnraum ist teuer. Der leere Raum wird laufend durch Kultur und Architektur neu und oft hierarchisch organisiert, doch er schwankt und ist veränderlich.
Die Arbeiten zur Architektur von Fides Becker und Julia Ziegler kann man verstehen als poetische Ortsangaben, als Aufforderung zum gedanklichen Positionswechsel. Die Gegebenheiten im Kunstverein dienen ihnen als Impuls und Maßstab. Die Künstlerinnen konzentrieren sich auf die Durchgänge, die Wege hinaus und hinein, auf die Rahmen und Ränder der Türen und den Raum dazwischen. Zitieren, reduzieren, freistellen, verwandeln…dabei nutzen sie sowohl die Wandflächen direkt als auch materialbasierte Bildträger.
Perspektivische Darstellung versetzt die Schauenden in eine veränderte Position – Materialpräsenz konterkariert jede Illusion. Widersprüchliche Ansichten erzeugen ein Kaleidoskop des Möglichen. Absurdes Kippen und täuschende Tiefe, Klares und Vages, beide fiktiv, treffen aufeinander. Der Ausstellungsort ist die Grundlage, auf der durch unterschiedliche Ästhetiken eine hybride Gesamtsituation entsteht.
Fides Beckers Malerei ist gegenständlich. Ihre illusionistischen Darstellung von kulturell konnotierten Gegenständen und Räumen lädt sie mit menschlichen Gefühlen auf, wodurch sie lebendig wirken. Dazu löst sie einzelne Motive aus ihrem gegebenen Zusammenhang heraus und fügt sie in einen anderen, körperhaft illusionistischen Raumzusammenhang ein. Sie separiert sie gleichermaßen aus dem kollektiven Gedächtnis und verleiht ihnen mit Emotionen wie Sehnsucht, Begehren, Leidenschaft sowie Lust und Angst eine eigene Identität. Es scheint ihnen somit etwas Organisches, Wesenhaftes, eine eigenständige Geschichte und manchmal auch eine ambivalente Bedeutung innezuwohnen. Fides Becker versteht ihre Malerei als empirische kulturanthropologische Forschung. Sie ist interessiert an den Spuren vergangener Epochen, die für sie etwas Geheimnisvolles haben, eine morbide Romantik. Menschen sind auf diesen Bildern nicht sichtbar, aber die Gegenstände und Räume vibrieren scheinbar noch von ihrer Anwesenheit.
Julia Ziegler geht vom Wahrgenommenen aus. Sie transformiert visuelle Erfahrungen zu neuen Sehangeboten, wobei eine Art Konzentrat entsteht. Dabei wechseln Material und Technik, sie entwickeln sich aus dem jeweiligen Kontext und reichen von klassischer Malerei und Zeichnung zu Papierkonstruktionen, Wandcollagen und Fotografischen Objekten. Jede Ausdrucksform hat ihre Vorläufer in der Geschichte, viele Setzungen sind Fortsetzungen und fügen sich in eine lange Kommunikationskette ein. Aufmerksamkeit für solche Bezüge sind ein elementarer Bestandteil dieser konzeptionellen Arbeitsweise. Konkrete und abbildende Formsprachen gehen Hand in Hand und überschneiden sich. Im Zentrum steht das unwillkürliche, kreative Ordnen im menschlichen Betrachtungsprozess, das als sinnhaft erfahren wird – der Prozess des Sehens selbst. Der erste und der zweite Blick als Stadien der Annäherung sind ebenso thematisiert wie das körperliche Verhältnis zum Angeschauten. Im Moment der Begegnung teilt man sich den einen Raum.
(Text: Fides Becker und Julia Ziegler)