Von Mai bis September 2024 zeigt der Kunstverein Neukölln eine dreiteilige Ausstellungsreihe, die sich – thematisch verschränkt – mit der kulturellen Wahrnehmung der Tierwelt im Kontext von Urbanität und Fabel befasst. Letztere hat in der Literatur einen kulturübergreifenden, historischen, überdauernden Platz.
Die bildende Kunst befasst sich mit Fabeln oft illustrativ. Welche anderen Bildformen ermöglichen eine visuelle Beschäftigung mit der Übertragung menschlichen Verhaltens – in der Gesellschaft oder als Individuum – auf die stellvertretenden Tiere? Unser Projekt stellt Betrachtungen der Tierwelt in den Fokus, die zugleich als Projektionsflächen aktueller gesellschaftspolitische Themen dienen.
Für die erste Ausstellung haben wir Mario Asef, Andrea Hartinger und Evgenija Wassilew mit jeweils spezifischen Arbeiten eingeladen, die sich der Welt von Insekten annehmen.
Mario Asef stellt mit seinem mehrmedialen Projekt „Crossfade“ (2012) die sogenannte Argentinische Ameise ins Zentrum, die im Kontext der Kolonisation Südamerikas durch die Europäer ab dem 16. Jahrhundert in einer Art Gegenbewegung nach Europa einwanderte. Diese Ameisengattung ist stark invasiv und verdrängt ihrerseits europäischen Arten, beziehungsweise, versklavt sie, so Asef. Und schon sind wir im Kontext des Anthropomorphen und verstehen das Verhalten der anderen Tiere aus dem menschlichen Blickwinkel. Asefs Videoarbeit und Grafiken stellen narrative Bezüge her: sind sie eine moderne Fabel – oder haben diese Begriffe in der digital-medialen Welt ihre Bedeutung verloren? Zu diesem künstlerischen Forschungsprojekt erschien ein Buch im Kerber-Verlag.
Andrea Hartinger zeichnet seit einiger Zeit Motten (fortdauerndes Projekt seit 2023): Pogo-Motten, Motten, die auf Debussy stehen, summende Motten und diverse andere. Sie gesteht den Tieren bestimmte menschliche Vorlieben zu, die starken Bezug zur westlichen Kultur haben. Dabei stehen Motten im Verruf, Schaden anzurichten, Kleider zu fressen oder in Lebensmitteln ihre Eier abzulegen. Hartingers farbig kolorierte Zeichnungen sind humorvolle Momentaufnahmen. Und wer – so lässt sich fragen – ist in diesem anthropomorphen Verhältnis eigentlich ein Schädling?
Evgenija Wassilew wiederum nimmt sich in ihrer Arbeit „Ondes Parasites“ (2022) nur in einer fehlgeleiteten deutschen Übersetzung einem Schädling oder Parasiten an. Der französische Begriff meint eigentlich ‚Störgeräusche‘. Ihre ortspezifische Klanginstallation setzt Kleinlautsprecher in das Mauerwerk. Die resultierenden Geräuschwelten evozieren die Klänge von unsichtbaren Insekten, deren Wesen wiederum erst in der menschlichen Vorstellung lebendig wird. Aber welche Charakteristika weisen wir ihnen zu?
(Text: Jorn Ebner)
Kuratiert von Jorn Ebner und Peter Hock.